Eine gelungene, lokale Polit-Arena
SVP und SP kreuzten im Stubensaal die Klingen zu den vier kantonalen Vorlagen. Und auch das Publikum brachte sich ein. Polit-Arena hiess das Format, die Bilanz fällt positiv aus – mit einer Ausnahme.
Andelfinger Zeitung, 26.04.2022
Dass der Hauptinitiant der Polit-Arena am Freitagabend, Kantonsrat Paul Mayer (SVP, Marthalen), am Schluss nicht ganz zufrieden war, lag am Aufmarsch. Gut 25 Personen kamen in den Stubensaal zur Veranstaltung zu den vier kantonalen Vorlagen vom 15. Mai. Und tatsächlich hätte das Format, wie es SVP und SP arrangiert hatten, mehr Zuspruch verdient gehabt. Mit ein Grund war jedoch die Kurzfristigkeit, mit der der Anlass aus dem Boden gestampft worden war.
Um Vorlaufzeit ging es in der Vorlage bezüglich 18 Wochen Elternzeit für Mann und Frau. Moderatorin Christina Furrer (EVP, Henggart) gab jeweils eine kurze Einführung in das Thema und liess der Pro- (4x SP) und Kontraseite (4x SVP) je zwei Minuten Zeit für die jeweilige Position. Danach folgte ein Schlagabtausch, und die Runde wurde fürs Publikum geöffnet, das sich auch rege einbrachte.
Elternzeit kostet, bringt sie etwas?
Zurück zur Elternzeit. Für Paul Mayer ist dieses Begehren wieder eine Zürcher Insellösung, völlig abgehoben in der schweizerischen Landschaft und nur nachteilig für Firmen. «Kinder zu machen und zu wollen, ist keine Staatsaufgabe», sagte er. In seinem Betrieb wäre durchschnittlich eine Person pro Jahr betroffen, das mache bei 720 Stunden zu 100 Franken 72’000 Franken aus. Er stelle Leute ein, damit diese arbeiteten.
Sie sehe die Kosten, sagte Sibylle Jüttner (SP, Andelfingen), ab Juni Mitglied im Kantonsrat. Jedoch würde mit einem Ja die Wiedererwerbstätigkeit von Frauen gefördert, was auf Dauer auch mehr Steuereinnahmen bringe. In den 18 Wochen habe ein Paar dann Zeit, die neue Familiensituation zu gestalten. Dafür habe man neun Monate Zeit, warf eine Frau ein. Nicht alles sei planbar, entgegnete Sibylle Jüttner. Und ein bisschen Vorlaufzeit hätten ja auch die Firmen. Eine Zuhörerin meinte, man müsse in der Politik den Knebel eben hoch werfen, um irgendwann etwas zu erreichen.
Klimaartikel in die Verfassung?
Viel erreicht wurde für ökologische Kreise im Kanton bereits mit der Annahme des Energiegesetzes. Nun soll ein Klimaartikel in die Verfassung aufgenommen werden, der das Bestreben klar festhält, wie Kantonsrat Felix Hösch (SP, Zürich) sagte. Das Gesetz allein reiche nicht. Zürich leiste sich bereits das strengste Energiegesetz, sagte Kantonsrat Christian Lucek (SVP, Dänikon). In den nächsten 20 Jahren verursache dieses Kosten von 20 Milliarden Franken. «Wir sind auf dem Weg», mehr brauche es nicht, sagte er. Doch, fand Felix Hösch. Zürich habe als Innovationsstandort auch eine Vorreiterrolle. Ein Nein berge die Gefahr, dass man sich zurücklehne.
Auch über diese Vorlage diskutierten nicht nur die beiden Kantonsräte, die auch in der gleichen Kommission sind. Ein Gewerbler meinte, das Fuder werde überladen. Ständige Veränderungen im Bereich Energie führten dazu, dass man nicht mehr nachkomme, Investitionen zu amortisieren. Ein Landwirt kritisierte nötige Investitionen von 40’000 Franken auf seinem Hof, bloss um Gülle ausbringen zu können. Und ein Rentner beklagte, dass er auf den in Aussicht gestellten Förderbeitrag von 9300 Franken für seine Erdsondenbohrung seit mehr als einem Jahr warte. Das sei nicht gut, bedauerte Felix Hösch.
Wählen, aber nicht wählbar
Gegen das Stimmrechtsalter 16 sprach Andreas Leupi (SVP, Oberengstringen). Bei seiner Wahl 2018 in den Gemeinderat war er mit 21 Jahren der jüngste Exekutivpolitiker im Kanton (seit 2022 ist das Joel Sigrist, 19, aus Flaach) und interessierte sich also früh für Politik. Klar wäre es cool gewesen, hätte er früher mitbestimmen können, sagte er. Ihn stört bei der vorliegenden «Bastellösung», dass 16-Jährige wählen, aber selber nicht gewählt werden könnten. Bei der politischen Verantwortung müsse irgendwo eine Grenze gezogen werden, und die sei bei 18 richtig. Für jene, die sich früher einbringen wollten, gebe es niederschwellige Lösungen wie zum Beispiel Jugendparlamente.
Sibylle Jüttner sieht den Vorteil von einem auf 16 Jahre herabgesetzten Stimm- und Wahlrechtsalter, dass Jugendliche dieser Altersklasse in ein Umfeld eingebunden sind, das eine politische Bildung ermöglicht. Gingen alle an die Urnen, hätte Zürich 2,4 Prozent mehr Stimmberechtigte. Es sei höchstens eine kleine Gruppe, meinte Andreas Leupi. Die Stimmbeteiligung würde gar noch sinken.
Die Gefahr einer Manipulierbarkeit, wie sie die SVP plakativ darstellt, sieht Gymilehrerin Sibylle Jüttner nicht. Viele junge Menschen hätten den Anspruch, ein Thema zu verstehen und würden neutraler an Vorlagen herangehen als ältere in ihrem Links-rechts-Schema. Eine ehemalige Schulleiterin sagte, die Anforderungen in den Schulen seien gestiegen, und auch im Strassenverkehr habe es schon Anpassungen nach unten gegeben. «Wir dürfen Jugendlichen etwas zutrauen.»
Gesetz ist nötig, aber dieses?
Zum Bürgerrechtsgesetz vertrat wieder Felix Hösch die Ja-Parole. Er liess sich in Zürich einbürgern – die Stadt habe er bewusst dafür gewählt. Die Vorlage bezeichnete er als Kompromiss, die weder eine Erleichterung noch eine Verschärfung bringe, aber eine Vereinheitlichung innerhalb des Kantons. Gegen die Vorlage war im Kantonsrat nur die Fraktion von SVP und EDU. Es brauche zwar ein Gesetz, fand Kantonsrat Diego Bonato (SVP, Aesch). Es sei aber derart lasch ausgelegt worden, «dass wir dagegen sind». Die Anforderungen seien zu weich und aufs Minimum reduziert, das sei stossend.
In der Diskussion wurden ein paar Beispiele aus dem Ausland zum Besten gegeben. So sagte ein Mann, seine Mutter habe 1964, als sie von Dänemark in die Schweiz kam, die Autoprüfung wiederholen müssen. Jemand verwies auf die strengen Regeln in Kanada, und ein anderer sagte, er sei nach zwei Jahren in Australien angefragt worden, ob er sich einbürgern lassen wolle – ohne etwas unternommen zu haben.
Wie in der TV-Arena war nach 90 Minuten Schluss. Machte gut 20 Minuten pro Thema. Paul Mayer hatte anfänglich Bedenken, dass dies zu wenig wäre. «Aber es war alles gesagt», bilanzierte er. Das lag auch an der Gesprächsleitung von Christina Furrer, die selten, aber wo nötig bestimmt aufs Thema zurückführte. «Ja oder Nein, Nein oder Ja?», schloss sie die jeweiligen Blocks ab. Das letzte Wort hat am 15. Mai das Stimmvolk.